
Die ethnographische Sammlung der Herzöge
Ethnographica, sogenannte „Exotica“ oder „Curiosa“, sind ein wesentlicher Bestandteil jeder Kunstkammer und wurden seit dem Aufbau der Kunstkammer auf Schloss Friedenstein im Jahr 1656 auch von den Gothaer Herzögen gesammelt. Ab dem Jahr 1826 führten die internationalen dynastischen Kontakte des Doppelherzogtums Sachsen-Coburg und Gotha, Auftragskäufe sowie Schenkungen zu einer kontinuierliche Erweiterung der Sammlungen mit Gegenständen aus fernen Ländern. Mit dem Ende des herzoglichen Herrscherhauses gab es nur noch wenige Zuwächse im Bereich „Völkerkunde“. Es ist somit ein in der Vergangenheit mehr oder weniger abgeschlossener Sammlungsbereich, dessen Sammlungsgeschichte sich aus einer historischen Erwerbspraxis herleiten lässt. Die Veränderungen im Bestand sind auf kriegsbedingte Verlagerungen und Museumsumstrukturierungen während der 1950er Jahre zurückzuführen.
Die Gothaer Herzöge entwickelten je nach Interessenslage eine originelle Erwerbs- und Sammlungspraxis. Dazu gehörte der Aufbau von dynastischen und wissenschaftlichen Netzwerken, die Teilnahme an Kriegen, der Erwerb von Sammlungskonvoluten anderer in Geldnot geratener Fürsten oder eine bemerkenswerte Gastfreundschaft gegenüber Gästen aus fremden Ländern, darunter Abba Gregorius, Prinz Scidid Saiff Habaisci und Prinz Raden Saleh. Sie unternahmen weite Reisen, von denen sie viele Geschenke fremder Fürsten und Staatsmänner sowie außergewöhnliche Erinnerungsstücke mitbrachten. Besonders im 19. Jahrhundert wurden den Herzögen Ethnographica von Reisenden und wohlhabenden Kaufleuten angeboten, die sich durch diese Schenkung eine gute Position am Hofe oder eine Nobilitierung erhofften. Gleichzeitig beauftragten die Herzöge Mittelsmänner, um bezüglich der China- und Japanleidenschaft ganze neue fremde Lebenswelten auf Auktionen für die Präsentation im Schloss einzukaufen.
Die Repräsentation des Fremden
Die ethnographisch-historische Sammlung besteht vorzüglich aus nordischen, türkischen, arabischen, persischen, ägyptischen, ostindischen, amerikanischen und australischen Waffen, Geräthen und anderen Seltenheiten. Eine Anzahl historisch-merkwürdiger Gegenstände schließt sich an dieselben an.
Adolf Bube, Einleitung zu Das Herzogliche Kunstkabinet zu Gotha, Gotha 1846
Welche Bedeutung hatten Ethnographica in den Sammlungen der Herzöge? Waren sie ein Abbild der Welt? Traten die Herzöge über diese Objekte in einen Dialog mit dem Fremden? Sollte der ethnographische Bestand analog zur Anlage der Büchersammlung die Diversität menschlichen Handels, Denkens und Wirkens verdeutlichen?

Wie sind die Sammlungen entstanden?

Um zu verstehen, nach welchen Gesichtspunkten die Sammlung der Ethnographica entstanden ist, müssen wir versuchen, die Fragen nachzuvollziehen, die die Herzöge, Forschungsreisenden, Entdecker und Händler damals an die Objekte stellten. Es war erstrebenswert das Besondere bzw. das „Merckwürdige“ – „das sich Merkens würdige“ – über einen fremden Gegenstand zu erfahren, welches letztlich neben dem ästhetischen Aspekt, die Faszination auslöste und den Impuls für den Erwerb gab. Was stand hinter dem Interesse für Alltagsgegenstände fremder Kulturen?
Die Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte auf Schloss Friedenstein bietet viele Ansatzpunkte, das das Verständnis von Wissen über die Jahrhunderte zu verfolgen. Neben den ethnograophischen Objekten wurden auch Schriften gesammelt. Wie war das Verhältnis des in den Büchern gespeicherten Wissens zu den verschiedenartigen Dingen mit ihrer spezifischen Materialität? Wie wurde das Wissen vermittelt?
Neue Ansätze in der Erschließung der Sammlung
Ethnographica entfalten ihre Wirkung, wenn ihre Geschichte aus den entfernten originären Kontexten des Alltags, von Festen, religiöser und kultureller Praktiken, der gesellschaftlichen Ordnung, politisch-kriegerischer Handlungen, als Herrschaftsinsignien, des künstlerischen Schaffens und als Kommunikationsmittel aufgearbeitet wird. Die Provenienz, die überlieferte Historie zu dem Objekt, seinem möglicherweise sehr einflussreichen Vorbesitzern, oder die Kenntnis von deren ritueller Verwendung, sind ein wesentlicher Teil ethnographischer Objektbiografien, die oft auf dem Weg in eine Sammlung verloren gegangen sind.
Neben der Aufarbeitung der musealen Sammlungsgeschichte als Teil der Herzoglichen Kunstkammer, des Kunstkabinetts oder dem Schloss- bzw. Naturkundemuseum, soll auch ein Augenmerk daraufgelegt werden, welches zeitgenössische (historische) indigene Wissen über ein Objekt in Reiseberichten, Tagebüchern oder Briefen überliefert wurde oder heute noch in den Herkunftsgesellschaften existiert. Der heutige Fokus richtet sich auch vermehrt auf die Recherche des Erwerbskontextes, um ein mögliches problematisches Erbe zu identifizieren.

Erschließung der Ethnographica-Sammlung

Das Projekt „Exemplarische Erschließung der Ethnographica in der Sammlung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha“ ist im Rahmen des durch die BKM bereitgestellten Fördergelder als Modell für die neue Strategie GothaTransDigital 2027 angelegt. In Zusammenarbeit mit der Thüringischen Universitäts- und Landesbibliothek Jena und dem BSZ Baden-Württemberg werden die wissenschaftlich bearbeiteten, ethnologischen Bestände im Rahmen einer neuen Online-Präsentation der SSFG der Fachwelt und einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Mit diesem von der Ethnologin Dr. Kerstin Volker-Saad konzipierten und durchgeführten Projekt bietet sich die Möglichkeit, eine systematische Erfassung und überprüfende Revision des Ethnographica-Bestandes durchzuführen.
Dr. Kerstin Volker-Saad, Geschäftsführerin von SCIFA – Science Facilitation Berlin Museumsberatung, Ausstellungen, Projektentwicklung, Provenienzforschung, Kunstgutachten, Wissenschaftsmoderation, konzipierte für die Stiftung dieses Pilotprojekt und bearbeitete die Sammlung im Rahmen eines Werkvertrags.